Kapitel 4 & 5 von „Liam und die Hilfe von oben“ jetzt verfügbar

Du möchtest mal wieder eine schöne und herzerwärmende Geschichte lesen, vielleicht auch mal fernab des ABDL-Genres? Dann schau dir doch mal meine neue Geschichte "Liam und die Hilfe von oben" an. Frisch upgedatet mit Kapitel 4 und 5. Viel Spaß beim Lesen!

Liam und die Hilfe von oben

[04] Der kleine Prinz

»Was – wie meinst du das?«, stotterte ich zusammen, bedacht nicht schon wieder in Tränen auszubrechen. »Du hast vorhin von der Beerdigung deiner Oma gesprochen und hast deine Gefühle nicht unter Kontrolle halten können. Sie muss dir viel bedeutet haben.«
Ich nickte stumm.
»Ich will nur wissen, wie es ist, eine Oma zu haben.« Fragend schaute ich ihn an. »Ich habe keine Großeltern. Die Eltern meines Vaters sind noch vor meiner Geburt verstorben und die meiner Mutter habe ich nie kennengelernt. Sie haben sich von meinem Vater abgewandt, nachdem meine Mutter bei meiner Geburt verstarb.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Diese Offenheit, als wäre es für ihn absolut kein Problem darüber zu sprechen. Er ließ sich nichts anmerken, keine Gefühlsregung, lediglich gespanntes Interesse, was ich zu erzählen hatte.
»Das tut mir leid. Ich wusste ja nicht -«, fing ich an, doch er unterbrach mich.
»Ach, ist schon gut. Wie gesagt, meine Mutter habe ich nie kennengelernt, deshalb ist es nicht so schlimm über sie zu sprechen. Also, wie ist es so, eine Oma zu haben? Wie war sie?«
»Sie – naja, sie war halt – eine Oma. So wie man sie sich vorstellt, eben.« Es schüttelte mich beim Gedanken an sie und ich spürte, wie Liam neben mich rückte. Er legte mir seinen rechten Arm über die Schulter und zog mich zu sich heran. Es war ein eigenartiges Gefühl, einem anderen Jungen so nahe zu kommen. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus, doch ich verband das mit den Gedanken an meine Großmutter. »Sie war immer da, wenn ich sie brauchte. Sie hatte immer ein offenes Ohr für mich. Im Nachhinein sind es vielleicht belanglose Dinge gewesen wie ein Streit mit meinem besten Freund oder ein Streit zwischen meinen Eltern und mir. Aber sie war immer für mich da. Sie meckerte oft, dass ich zu unterernährt aussah und stellte mir dann Haufenweise Essen auf den Tisch. Sie war eine begnadete Köchin und ihre Eintöpfe waren um Längen besser, als die meiner Mutter.« Insgeheim hoffte ich, dass meine Mum nie herausfände, dass ich das Liam erzählte. »Sie war auch sehr musikalisch. Sie konnte großartig Klavier spielen und sie brachte mir das Gitarrespielen bei. Sie war die Beste«, schloss ich, während mich Liam noch näher zu sich zog. Mein Kopf lag auf seiner Brust und sein T-Shirt war durchgeweicht durch meine Tränen. »Dann wurde sie krank. Der Brustkrebs ist wieder ausgebrochen. Sie hatte ihn vor meiner Geburt schon einmal besiegen können, aber offenbar nicht zur vollen Gänze. Sie wurde in rascher Zeit immer schwächer und magerer. Wir nahmen sie bei uns Zuhause auf, doch das ging nicht lange gut, also brachten wir sie in ein Wohnheim. Rückblickend war das vielleicht ein großer Fehler. Denn es hat nicht lange gedauert und sie musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, aus dem sie kurze Zeit später ausbüchste. Wir fanden sie einige Stunden später in einem Nachbarort, in dem jemand die Polizei rief, als ihm meine Oma aufgefallen war.« Bei dem Gedanken daran, wie sie im Schlafanzug und ihren Teddyhausschuhen durch die Straßen lief, entwich mir ein Laut, der halb lachen und halb weinen war. »Dann kam sie wieder ins Krankenhaus zurück. Wir besuchten sie oft, doch sie erkannte uns oft nicht wieder. Nur mich, ihren Prinzen, erkannte sie immer, wenn wir sie besuchten.«
»Sie nannte dich ihren Prinzen?«, warf Liam überrascht ein.
»Ja, das war ihr Spitzname für mich. Nicht Jo oder Johnny, wie mich viele meiner Freunde nannten, sondern „kleiner Prinz“. Aber ich dachte, sie würde es schaffen, wie sie es schon einmal geschafft hatte. Ich konnte sie einige Zeit nicht mehr besuchen, weil ich Prüfungsphase hatte. Dann eines Tages bekam ich die Nachricht von meiner großen Schwester. Sie war gestorben und ich hab mich nicht bei ihr verabschiedet. Ich dachte doch, sie würde es schaffen. Ich hatte nie damit gerechnet -«. Meine Stimme erstarb und ich schmiegte mich weiter an Liam. Der hatte nun begonnen mir wieder über die Haare zu streicheln, wie vorhin auf der Tischtennisplatte.
»Danke, dass du mir das erzählt hast«, war sein Kommentar und er ließ mich weiter in sein T-Shirt weinen.
»Weißt du was?« Ich blickte mit verquollenem Blick hoch in sein Gesicht, in die haselnussbraunen Augen, die mich mit Sorge anschauten. »Ich kenne dich erst seit ein paar Stunden und dennoch habe ich dir mehr erzählt, als meinen Eltern. Ist das nicht witzig?« Ich lachte gequält und doch war es mehr ein trauriges Lachen.
Er erwiderte nichts, kam mir mit seinem Gesicht stattdessen immer näher, umfasste meinen Kopf und streichelte mir mit seinen kleinen Fingern den Nacken. Es ging wieder dieses Kribbeln durch meinen Körper, der sich augenblicklich anspannte. Moment mal, was geht hier vor?
Bevor er weiteres Unheil anrichten konnte, richtete ich mich auf und stieß ihn dabei etwas unsanft von mir.
»Was zur Hölle hattest du vor? Ich bin nicht schwul!«, rief ich erzürnt.
Verwunderung und Verletzlichkeit lagen in seinem Blick. Er schaute mir lange und intensiv in die Augen, bevor er antwortete.
»Es tut mir leid. Ich dachte, ich hätte da was zwischen uns gespürt. Es kam einfach so über mich. Ich wollte dich nicht zu etwas verführen, zu dem du nicht bereit wärst. Es tut mir leid.«
Ich setzte mich wieder zu ihm.
»Heißt das, du bist schwul? Es ist also wahr, was Sven vorhin meinte?«, wollte ich von ihm wissen.
»Ach der, was weiß dieser Vogel schon. Ja, ich stehe auf Typen. Aber ich bin keine Tunte oder sowas. Der Idiot hat doch den Knall nicht gehört. Arschloch.« So zeterte er noch mehrere Minuten über Sven daher, doch ich war wieder in meinen Gedanken. Was war nur los mit mir? Was war da zwischen uns? Ich meine, ich hatte ja was gespürt, aber sollte das wirklich ein Gefühl der Zuneigung gewesen sein? Zu einem Jungen? Ich hatte zuvor eine heterosexuelle Beziehung und die hielt nicht lange. Ich wollte damals nur mit jemanden zusammen sein, weil es plötzlich jeder in meiner Klasse zu sein schien. Also wollte ich mitziehen, denn ich wollte nicht zu den Losern gehören, die keine Beziehung hatten. Ich hatte schon kein leichtes Los durch das Überspringen mehrerer Klassen gezogen, da wollte ich wenigstens in der Hinsicht cool sein. Aber bei Mandy hatte ich überhaupt nichts gefühlt. Konnte ich also schwul sein? Nein, das durfte nicht sein. Was würde Oma dazu sagen? Naja, ich konnte mir bildhaft vorstellen, was mir meine Großmutter sagen würde.
»Was Junge, du bist schwul? Und darum machst du so ein Aufheben? Mein Gott, dann ist das halt so! Hauptsache du bist glücklich und er macht dich glücklich.«
Ja, das würde sie zu sagen haben. Ihr wäre es egal und würde auch noch weiterhin zu mir halten. Sie würde mich unterstützen. Aber meine Familie. Meine Eltern. Meine Schwester. Meine Freunde. ›Welche?‹ Meine alten Freunde. ›Die du eh nicht mehr siehst, weil du dich von ihnen gewandt hast. Sie weggestoßen hast.‹
Liam riss mich je aus dem Monolog mit meinen Gedanken.
»Hast du mir zugehört? Ich habe dich gefragt, ob wir vielleicht etwas essen wollen? Ich könnte uns Pizza bestellen.«
»Na da kann ich ja wohl schlecht nein sagen.« Ich strahlte ihn an und folgte ihm zurück in den Eingangsbereich und direkt in die Küche. Auch diese nahm enorm viel Platz in der Villa ein. Die Küchenzeile allein war mindest dreimal so groß, wie unsere Zuhause und dann gab es davor noch eine schöne Kochinsel. Vor der Küche selbst stand ein langgezogener Esstisch mit zwölf Stühlen, die alle einen sehr rustikalen aber schicken Eindruck machten.
Ich ließ mich auf einen der Stühle nieder und Liam wählte derweil die Nummer des Restaurants.
»Was willst du eigentlich für eine Pizza?«, fragte er mich, während er bereits mit dem Restaurant sprach. Der Herr in der Leitung wartete geduldig.
»Ich nehme eine klassische Salami-Pizza.«
»Okay, dann bitte eine Salami-Pizza XL und eine Diavolo-Pizza, ebenfalls XL.«
Er hängte den Hörer auf und gesellte sich neben mich.
»In fünfzehn Minuten sind sie da. Dann müssen wir also doch nicht verhungern.« Er grinste mich verlegen an und ich grinste zurück. Hach, wie süß es doch aussah, wenn seine Augen beim Lachen fast verschwanden. Entsetzt über den Gedanken, wandte ich mich von ihm weg und starrte stattdessen lieber auf meine Finger.
»Hey, es tut mir wirklich leid, was da oben gerade passiert ist. Wenn du nicht bereit dazu bist, dann ist das okay. Ich werde dich zu nichts zwingen, versprochen.« Erleichtert drehte ich mich wieder zu ihm, schaute ihm in seine schönen braunen Augen, seine feine Nase, die schwungvoll mitten im Gesicht saß, sein feiner Mund, der mich anlächelte. Auf der Oberlippe trug er ein feines Muttermal, genauso wie an seiner Schläfe. Seine Ohren passten nicht ganz zu seinem Körper, denn sie waren etwas klein, fand ich. Seine Haare waren immer noch verstrubbelt und er hatte sich keine Mühe gemacht, sie zu zähmen, nachdem er nach Hause gekommen ist. Manchmal hasste ich mein Gehirn für diese Auffassungsgabe. Sollte ich ehrlich zu ihm sein und ihm von meinen Gefühlen erzählen? Aber am Ende würde er sich noch unnötig Hoffnung machen. Was wäre dann, wenn ich doch nicht schwul wäre? Wenn es nur ein starkes Gefühl der Zuneigung wie bei einem Bruder wäre und kein Gefühl von Liebe? Ich würde ihm das Herz brechen und das konnte ich ihm nicht antun. Mir fiel in dem Moment ein anderes Thema ein.
»Also, erzähl’ schon. Woher kanntest du meine Oma. Ich hatte dich zuvor noch nie gesehen und dann tauchst du plötzlich bei Ihrer Beerdigung auf. Warum?« Doch ich sah direkt, dass ich auch weiterhin auf Granit beißen würde.
»Ich weiß echt nicht, wovon du da redest. Du musst dir da was eingebildet haben oder du verwechselst mich mit irgendjemanden.« Es hatte einfach keinen Zweck.
»Hm, na gut. Ja, vielleicht ist es ja so.« War es nicht und das wusste ich auch. Ich besaß ein eidetisches Gedächtnis und konnte mir immer noch wahrhaft vor Augen führen, wie er da stand, an dem Grab meiner Oma und ihm wie mir die Tränen das Gesicht herunterliefen. Die gleichen Gesichtszüge, die gleiche Frisur – auch wenn seine Haare jetzt um ein paar Zentimeter länger waren – die gleichen Muttermale an der Schläfe und über dem Mund. Entweder er besaß einen ihm nicht bekannten Zwillingsbruder oder er log mich an. Nur warum?
Die Türklingel holte mich aus den Gedanken und wir stürmten beide an die Tür. Der Pizzabote sah verblüfft aus, als wir ihm die Tür öffneten. Er machte beinahe das gleiche Gesicht, das ich gemacht hatte, als Liam die Tür öffnete. Wir nahmen ihm die Pizzen ab und Liam überreichte ihm ein großzügiges Trinkgeld. Dann machten wir uns wieder auf in die Küche und setzten uns am Esstisch gegenüber. Ich öffnete den Pizzakarton und war verblüfft ob der Größe der Pizza. XL war nicht nur so dahingesagt. Meine Pizza hätte eine vierköpfige Familie satt bekommen. Ich biss genüsslich in das erste Stück Pizza, die schon fast so groß war, wie eine Tiefkühlpizza, die ich mir immer machte, wenn niemand Zuhause war. Der Rand war knusprig, die Soße beinahe kochend heiß und prompt verbrannte ich mir den Gaumen. Hätte ich mir ja denken können, bei solch einer kurzen Lieferdauer. Liam schien das nicht zu stören. Ohne groß darüber nachzudenken, biss er ein Stück ums andere von der Pizza ab und war bald bei der Hälfte angelangt, kaum dass ich mein erstes Stück geschafft hatte.
»Wo isst du das alles hin?«, fragte ich ihn verblüfft.
»Ich rede weniger und esse mehr«, konterte er gekonnt.
»Ha ha«, lachte ich trocken und befasste mich wieder mit meiner Pizza.
Als ich endlich nach gefühlten Stunden die erste Hälfte geschafft hatte, wischte Liam sich den Mund an einer Serviette ab und ließ sich zufrieden in den Stuhl zurückfallen.
»Du hast ernsthaft die ganze Pizza geschafft?«
»Jo, kein Problem für mich. Ich trainiere das auch nachher wieder ab.«
»Also für mich ist klar, ich schaffe meine Pizza nicht. Willst du noch?«, fragte ich ihn hoffnungsvoll.
»Ne du, lass mal gut sein. Stell’ sie doch in den Kühlschrank, dann hast du noch was für später, falls dich der Heißhunger überfällt. Kalte Pizza schmeckt auch noch gut.« Da hatte er Recht. Also klappte ich den Pizzakarton wieder zu und legte sie in den überdimensionierten Kühlschrank. Der war so groß, dass ich nicht mal an die oberen beiden Fächer herankam.
»Also, was wollen wir jetzt noch machen? Hast du Lust auf ein wenig PS4? Ich habe Diablo 3 und wir könnten dir einen neuen Charakter anlegen. Dann level ich dich ein wenig hoch. Na, Lust?«
Lust hatte ich eigentlich keine, denn ich mochte Computerspiele nicht sonderlich. Doch was sollten wir sonst tun? Mir fiel nichts ein, also bejahte ich.
»Super, dann komm mit.« Und dicht auf den Fersen folgte ich ihm in sein Zimmer.
Der Abend wurde dann doch noch ganz witzig. Ich entschied mich für den Totenbeschwörer und es dauerte nicht lange, dann erreichte ich das Level 40. Viel tun brauchte ich dafür nicht, schließlich machte Liam die ganze Arbeit und rannte ins Getümmel.
Erschrocken schaute ich auf die Uhr, es waren nur noch 30 Minuten bis um 9 Uhr. Wie sollte ich nur so schnell Zuhause sein?
»Ich könnte dich nach Hause fahren, wenn du willst. Dann würdest du jedenfalls keinen Ärger bekommen, denn pünktlich bist du dann allemal. Du kannst aber natürlich auch mit den Öffentlichen fahren, aber dann kommst du definitiv 10-15 Minuten zu spät.«
Er braucht mich nicht lange zu überreden und so saßen wir kurz darauf wieder auf seinem Roller und fuhren zu mir. Da er die Grenze von 45 km/h voll ausreizte, waren wir innerhalb von 13 Minuten da. Wir stiegen von seinem Roller.
Plötzlich nahm er meine Hand und schaute mir tief in die Augen.
»Hör mal, Jonas. Das war ein wirklich schöner Tag mit dir. Gut, ausgenommen der kleine Vorfall auf dem Pausenhof. Und selbst wenn du nicht so fühlen solltest wie ich, wäre es großartig dich als Freund zu haben. Was hältst du davon.«
Ja, Freunde sein klang erstmal vielversprechend. Damit konnte ich mich anFREUNDen. Haha.
»Ja klar, sehr gerne. Sehen wir uns morgen wieder? Wir haben ja jetzt erstmal drei Tage frei von der Schule und die fangen morgen an. Also wenn du morgen noch nichts vorhaben solltest.« Ich schaute ihn belustigt an.
»Nein, ich habe noch nichts vor. Aber ist es okay für dich, wenn noch zwei andere dabei sind. Eine sehr gute Freundin und mein Cousin und die habe ich für morgen schon eingeladen.«
»Ach wo. Das stört mich gar nicht«, antwortete ich. »Also, wann soll ich morgen bei dir sein?«
»Ich denke so um 14 Uhr wäre gut. Dann habe ich auf jeden Fall ausgeschlafen.«
»Alles klar, dann morgen 14 Uhr.« Und dann tat er etwas, was mich verblüffte und erfreute gleichermaßen. Er umarmte mich lange und innig und ich erwiderte die Umarmung etwas verlegen.
»Also dann, bis morgen.« Ich befreite mich aus seiner Umarmung und schloss die Haustür auf. Ich drehte mich noch einmal um und da stand er vor seinem Roller und schaute mir hinterher. Was macht Liam da nur mit mir?