Kapitel 4 & 5 von „Liam und die Hilfe von oben“ jetzt verfügbar

Du möchtest mal wieder eine schöne und herzerwärmende Geschichte lesen, vielleicht auch mal fernab des ABDL-Genres? Dann schau dir doch mal meine neue Geschichte "Liam und die Hilfe von oben" an. Frisch upgedatet mit Kapitel 4 und 5. Viel Spaß beim Lesen!

Liam und die Hilfe von oben

[01] Die neue Schule

Diese Geschehnisse lagen nun bereits zwei Monate hinter uns und doch konnte ich mich nicht an das Gefühl gewöhnen, meine Oma nicht mehr bei mir zu haben. Ich hatte einen wichtigen Teil von mir verloren und wusste, dass er nie mehr zurückkehren würde.
Meine Unterrichtspausen verbrachte ich fortan allein und in mich gekehrt. Auch meine Freunde kamen nicht an mich heran und ich ließ sie einen nach dem anderen abblitzen. So entfernten sie sich immer mehr von mir.
Ein Gespräch zwischen meinen Eltern und dem Klassenlehrer entschied über meine weitere Schullaufbahn und alle waren sich einig, dass ein Neubeginn an einer neuen Schule mir wohl ganz gut tun würde.

So zogen wir in den Sommerferien um und meldeten mich an einer neuen Schule an.
Die Sommerferien selbst waren für mich die reinste Qual. Nichts konnte mir helfen mich abzulenken. Selbst der Umzug in eine neue Stadt war nicht aufregend genug, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich hing auch weiterhin allein herum, wurde von meinen Eltern allerdings dazu genötigt, endlich mal das Haus zu verlassen und mich mit Kindern aus meiner Nachbarschaft anzufreunden. Ich dagegen unternahm gar nicht erst den Versucht, setzte mich dagegen auf irgendwelche Spielplätze und schaute den Kindern beim Spielen zu.
»Hey, du bist neu hier, oder?«, fragte mich eine Stimme und legte einen Schatten über mein Gesicht. Da er mit der Sonne im Rücken zu mir stand, konnte ich sein Gesicht nicht richtig erkennen, als ich aufschaute.
»Ja«, antwortete ich nur und ließ den Blick wieder sinken.
»Wie heißt du?«, fragte er mich und ließ sich auf der Schaukel neben mir nieder.
»Jonas«, antwortete ich kurz angebunden. Verstand er nicht, dass ich im Augenblick lieber allein sein wollte?
»Cooler Name, Jonas. Ich heiße Liam.« Aus dem Augenwinkel vernahm ich, dass er mich angrinste. »Auf welche Schule gehst du denn?«
»Keine Ahnung«, sagte ich zerknirscht und ließ den Blick weiter auf den Sand unter mir ruhen.
»Hey, warum so niedergeschlagen? Ist jemand gestorben?«
Zornig sprang ich von der Schaukel und rannte los. Ich hörte ihn mir noch meinen Namen nachrufen, aber das war mir egal. Er konnte ja nicht erahnen, was er mit seinen letzten Worten in mir ausgelöst hatte.
Ich rannte immer weiter, bis ich in eine Seitenstraße lief und mir keuchend die Seite hielt. Verdammt, wo war ich?
Verzweifelt schaute ich mich um, aber erkannte nichts wieder. Vor mir erstreckte sich eine lange Einkaufsstraße mit allen möglichen Geschäften, die ich nur vom Hörensagen kannte. Gucci, Louis Vuitton, Apple, Starbucks, Hugo Boss, Chanel, Cartier. Einzig McDonalds kannte ich, aber alle anderen Ladengeschäfte hatte ich nie zu Gesicht bekommen, geschweige denn betreten. Hier in Berlin schien es alles zu geben, was man sich nur wünschen konnte. In meinem Kuhkaff konnte ich von Glück reden, dass wir einen Tante Emma Laden hatten, für das erwähnte McDonalds musste
man schon in den nächst größeren Ort fahren.
Ich entschied mich dazu, das McDonalds aufzusuchen und dort nach der Adresse zu fragen. Ich rief meinen Vater an, der sich zwar wunderte, mich dann aber bereitwillig abholen kam.
Schweigsam fuhren wir den Kurfürstendamm herunter – so hieß die Straße, in der ich gelandet war – und brauchten nicht lange, um zu Hause anzukommen. Er parkte das Auto einen Häuserblock entfernt, weil direkt vor der Tür keiner mehr frei war und zusammen liefen wir nach Hause.
»Wieso warst du so weit von Zuhause weg?«, wollte er endlich von mir wissen. Ich zuckte nur mit den Schultern.
»Hör mal, für uns alle ist es ein großer Verlust gewesen, aber das Leben geht weiter. Oma hätte sicher nicht gewollt, dass du ihr so lange hinterher trauerst und vergisst zu leben.«
Diese Worte saßen gewaltig, aber ich äußerte mich weiterhin nicht dazu. Resigniert gab mein Vater mit einem langgezogenen Seufzer auf und fuhr mit mir in den achten Stock. In unserer Wohnung angekommen, zog ich mir die Schuhe und Jacke aus und verschwand in meinem Zimmer. Ich hörte meinen Vater noch rufen »In zehn Minuten gibt es Abendbrot«, dann knallte ich auch schon meine Tür zu.

Am ersten Tag nach den Sommerferien fuhr mich meine Mutter zur Schule, weil mein Vater arbeiten musste. Die ganze Fahrt über schwiegen wir uns an, bis meine Mutter mich vor dem Sekretariat abstellte.
»Ich wünsche dir viel Spaß und bitte gib den Schülern keine Gelegenheit über dich herzuziehen. Du weißt ja, der erste Eindruck zählt.« Sie zwinkerte mir zu.
»Klar doch. Es reicht ja nicht, dass ich als Hochbegabter zwei Stufen überspringen konnte und nun mit einem Altersunterschied von zwei Jahren in ihre Klasse komme, um über mich herzuziehen«, murmelte ich.
»Jetzt hab dich nicht so. Du kannst natürlich auch zurück in die achte gehen, aber da wirst du dich langweilen, das weißt du.« Sie schlug mir sachte auf die Schulte, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Halt die Ohren steif, mein Schatz. Das wird schon.«
Ich nickte dem Boden zu und sah, wie sich meine Mutter entfernte. Sie drehte sich noch einmal um, doch da wurde ich schon von der Sekretärin hereingebeten. Ich sah also ihren zweifelnden und sorgenvollen Blick nicht mehr, den sie noch kurz auf ihrem Gesicht huschen ließ, bevor sie das Gebäude verließ.
»Hallo Jonas, ich bin Herr Schütter und der Rektor dieser Schule«, hieß er mich willkommen und schüttelte mir die Hand. »Es freut uns immer wieder, so wissbegierige und kluge Köpfe auf unserer Schule willkommen heißen zu können. Ich denke, du wirst dich gut einleben können.«
Ich bekam bei der Ansprache einen spontanen Würgereiz, konnte ihn aber geschickt als trockenes Husten umwandeln.
»Ich werde dich nun zu deiner Klasse bringen. Deine Klassenlehrerin heißt übrigens Frau Morel und ist gleichwohl deine Französischlehrerin. Also, wenn du mir nun folgen magst?!« Mochte ich nicht, aber was blieb mir für eine andere Wahl?
Er führte mich die große Treppe im Vorraum hinauf und ging den Gang im ersten Stock entlang. Ich musste erstaunt feststellen, dass die Schule einen gewissen Charme versprühte.
Hier und da tadelte Herr Schütter Zuspätkommer, als wir endlich vor einer Tür Halt machten, die offenbar zu meiner Klasse führte. Er klopfte an und wartete gar nicht auf ein „Herein“, sondern stürmte direkt in den Raum, ich schüchtern hinter ihm her.
»Guten Morgen Frau Morel, guten Morgen Klasse 10b.«
»GUTEN MORGEN, HERR SCHÜTTER«, sprach die Klasse im Chor.
»Ihr bekommt dieses Jahr einen Neuen, sein Name ist Jonas Kraus. Er ist in den Sommerferien aus Rädigke nach Berlin gezogen, richtig?« Erwartungsvoll schaute er mich an.
Ich nickte nur.
Da schallt es aus einer der letzten Reihe: »Sicher, dass er hier richtig ist? Der gehört doch noch in die Grundschule.« Alles lachte und ich wurde rot im Gesicht. Ja gut, die Pubertät hatte bei mir noch nicht zugeschlagen, aber Grundschule? Der wollte wohl auf witzig machen. Ich schaute ihn grimmig an, doch er lachte weiter. Ein paar Plätze weiter lachte allerdings einer nicht mit. Er schaute ernst zu mir herüber und ich schaute ihm in die Augen. Irgendwoher kennst du den, dachte ich mir, wurde aber von dem wütenden Direktor am Weiterdenken gehindert.
»Das reicht, Sven. Das ist absolut nicht witzig. Ungeachtet deines Intellekts gibt es Leute, die einen so hohen Wissensstand besitzen, dass sie mehrere Klassen überspringen können.«
Ich wurde so rot, wie eine zu lang gegarte Languste. Ja sicher doch, gib ihm weiteren Zündstoff, um mich noch mehr zu hassen. Ich schaute wieder zu dem Jungen herüber, der nicht gelacht hatte und wusste nun endlich, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte.